Eine Familie in der Oase al-Hayz

Dies, liebe Leser, ist nun eine etwas längere Story, die uns in eine andere Welt entführt. Ich freue mich, wenn ihr dafür etwas Zeit findet und sogar mal einen Kommentar loswerdet. Besonders hierfür. Das Highlight meiner Bahariya-Reise bisher, ganz klar.

Wie soll ich es beschreiben? Auch nach vier Wochen Aufenthalt ist es nur ein sehr begrenzter Ein- und Überblick in die „Welt Oase“, den man erhält. In privaten Haushalten ist schwer hineinzukommen, die Mauer zwischen der Frauen- und der Männerwelt ist schier unüberwindbar. Es sind daher eher Momentaufnahmen, die ich einfange, so wie diese:

Recht unverhofft erhielt ich nach Vermittlung von Magdi eine Einladung zu einem Teil seiner Familie, die in der kleinen Siedlung al-Hayz am südlichen Rande der Oase lebt. Kurz gesagt: Ich durfte eine andere Welt betreten. Eine, wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, wie man so dahin sagt. Eine Platitude: Ja, aber auch nein. Ganz sicher ist es aber eine Welt, die etwas hat, was „wir“ verlernt haben und missen, eine Erdverbundenheit vielleicht, aus dem Einfachen und Wenigen viel zu machen und wie schön man miteinander umgeht in eine großen Familie. Ich werde gastfreundlich, ja überaus herzlich empfangen, bewirtet und darf einen Tag am Familienleben teilnehmen, Brot backen inklusive.

Die Sanddünen bei al-Hayz rücken näher
Die „Farm“ der Dattelpalmen – und ohne Zäune

Von Bawiti aus geht es zunächst 35 km durch die erloschenen Vulkankegel und Tafelberge der Schwarze Wüste. Wir biegen ab, vorbei an den Überresten einer Festungsanlage aus der Römerzeit. Vor uns öffnet sich die weite Senke von Rees mit verstreuten Siedlungen. Zwischen Lehmmauern in al-Hayz, an das inzwischen die Sanddünen bedrohlich nah heranreichen, machen wir Halt.

Das römische Kastell Qasr Masuda., ein Zeugnis der Bedeutung von al-Hayz in der Antike. Im Hintergrund die Senke von Rees.

Ich streife durch die Gassen. Lehmziegelbauten mit kleinen, ummauerten Gärten und Viehställen allenthalben. Ein Geschäft gibt es hier nicht und keinen Arzt, nur eine Schule und einen Generator (s.u.).

Am Ende des Wegs beginnen lichte Dattelweiden. Kein Mensch ist zu sehen, nur ein einsamer Esel.

Wie in allen Haushalten hier gibt es einen Raum, der für gewisse Anlässe zu nutzen ist: Empfänge und Feiern etwa. Er ist groß, hat keine Möbel, nur Teppiche und einen kleinen Tisch, um den sich die männliche Familie versammelt hat. Wir essen alle von einem Tablet, von einer Schüssel. Hier werde ich willkommen geheißen. Magdi übersetzt. Ich spüre eine gewissen Anspannung, Neugierde vielleicht. Aus Deutschland komme ich, man lächelt, fragt aber nicht nach, findet keinen Anhaltspunkt. Zu weit entfernt, fremd, unwirklich? Ich weiß, dass Magdis Partnerin Kerstin immer wieder hier war. Ansonsten passiert es aber nicht oft, dass ein Europäer an ihrem Tisch sitzt.

Im Laufe eines geradezu opulenten Essens mit einer Vorsuppe, Reis, Hähnchen, einem spinatähnlichen, leicht bitteren Gemüsesud mit Knoblauch namens Mouhaya und im eigenen Steinofen mit Palmenholz gebackenen Brot lockert sich die Stimmung. Ich beginne, Aufnahmen zu machen, zunächst vom Essen, und dann möglichst unauffällig und nebenher von Menschen, Haus und Hof.

„Ärmlich“? Dieses leidende Nichthaben doch Habenwollen, trifft es nicht. Eher lebt man, wie ich erfahre, in erster Linie von dem, was man anbauen und auf dem Markt verkaufen kann, also Subsistenzwirtschaft. Die Familie hat reichlich Tomaten, Gemüse und Erdnüsse im Garten. Die offene Wasserstelle steht im Schatten eines Bananenbaums, an dem sich Gurken hochranken.

Achmed, ein jüngeres Mitmitglied der Familie, kümmert sich sitzend um den Tee. Die erste Runde ist ein starker Aufguss, der sehr süß getrunken wird. Der zweite Aufguss ist mit Minze angereichert. So ist es Brauch.

Achmed geht auf Krücken, ein seit Monaten nicht verheilender, glatter Oberschenkelbruch – ein Autounfall. Nach allem, was ich verstehe, muss es sich um einen handwerklichen Fehler eines Arztes beim Richten und Schienen handeln. Ein wenig kenne ich das Problem. Ich erinnere mich an Günter, der vor Jahren in der Kölner Uniklinik neben mir lag und dem ähnliches widerfahren war – ein von den „Göttern in Weiß“ zum Krüppel gemachter Mensch. Ich schaue mir das Bein an, bewege es vorsichtig. Unbedingt schnell von einem anderen Arzt röntgen lassen und vermutlich neu operieren, rate ich. Er muss vermutlich sogar nach Kairo. So „romantisch“ es ist, abgelegen zu leben, ist in Punkto medizinischer Versorgung bleibt das freilich ein riesiges Problem – und ist in diesem Fall schlicht furchtbar.

Ja, eine Krankenstation für die annähernd 2.000 Bewohner der Oase von Rees, das wäre nach seiner Meinung das Wichtigste. Als Achmed es sagt, lächelt er nicht.

Ein anderes Problem ist die fehlende Energieversorgung und keinen Netzempfang zu haben. Vier bis fünf Stunden am Tag läuft ein Generator. Photovoltaik wäre hier die einfachste Lösung, auch eine schnelle, doch die Regierung kümmert sich nicht darum, trotz häufigen Bittens, beklagt man. Dabei würde es sich sogar innerhalb weniger Jahre rentieren angesichts der im Lande rasch steigenden Dieselpreise. Ein Projekt für die Entwicklung! Doch wer ist der Geber? Ohne Strom aber keine Jobs, auch das. Handwerk ist hier normal, das könnte einen Zuverdienst erlauben. Ein Jeep hält oberhalb auf der Düne, acht Touristen schauen auf die Siedlung hinunter, knipsen und essen mitgebrachte Sandwiches. Könnten man ihnen kein Tee, Steinofenbrot und Handgemachtes anbieten? Man kann es fast mit den Händen greifen.

Der etwas altertümliche Generator steht der gesamten Gemeinde zur Verfügung. Die Leistungsstärke ist unbekannt (siehe auch Bild oben)
Gurke an Bananenbaum, Taubenmist, Ziegenkot und Bullendünger
Fließend Wasser gibt es nur hier
Großmutter beim Ernten der Erdnüsse. Lächelnd (kein Foto!)

Ich bin nicht hier, um Ratschläge zu erteilen, die vielleicht weitere Hürden und ganz andere Risiken mit sich bringen. Es sind eher Eindrücke und Gedanken, so ein Gefühl, dass es etwas Initiative braucht. Braucht es? Hier wird gelacht, nicht geklagt.

Die Familie hält Hühner, Ziegen, Tauben, Enten, zwei Milchkühe und einen Bullen. Ich ulke herum mit den Kindern und bewege mich zwanglos im hinteren Bereich des Grundstücks, wo die Frauen Erdnüsse ernten, abwaschen, werkeln, während die Männer vorne in der Sonne schlafen und plauschen.

(Magdi findet aber die Idee mit Solarstrom super. Geldgeber gesucht!!)

Die Dattelernte 2022, ein gutes Jahr, die im Schatten zum Trocknen ausliegt.

Und dann macht Hadir Feuer im Steinofen, um Brot zu backen. Darum hatte ich gebeten. Hadir ist 15, selbstbewusst, trägt keinen Schleier, sondern nur ein Kopftuch, ist resolut und in Sachen Haushalt rundum erfahren – schon ganz eine Frau mit einer eigenen, tollen Ausstrahlung.

Es ist Freitag, also ist sie zu Hause. Sonst geht sie zur Schule. Zu backen macht ihr sichtlich Spaß und ein wenig stolz, wie ich finde.

Die Bilderfolge bringt uns – hoffentlich – die Angelegenheit etwas näher.

Hefebrotteige „gehen“ in der Sonne
Und jetzt auch noch Erdnüsse?! Muss das denn sein?

Hab grade von gegessen.

Absolut lecker das Brot, weich, leicht rauchig, vollmundiger Geschmack.

Würde ich Euch gerne ne Scheibe von abschneiden. Ach, macht doch selber.

***

Ich soll unbedingt zum Abendessen bleiben, bittet die Familie. Wir müssen aber fahren. Es wird nicht der einzige Besuch in al-Hayz bleiben. Ganz klar.

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